Im achtzehnten Jahr seiner Herrschaft entschied sich Herodes, den vorhandenen Tempelkomplex zu rekonstruieren. Es war seine wichtigste, obwohl nicht einzige architektonische Idee. Flavius Josephus berichtet, dass Herodes es mit eigenen Mitteln vollziehen wollte und dass es das wunderbarste, da viel größere und höhere Heiligtum sein sollte. Es sollte auch das Werk sein, das alle anderen seine Errungenschaften überragen und ihm unsterblichen Ruhm sichern wird, was ihm auch gelungen ist (Ant. 15,380; por. Bell. 5,184-227).
Die aus Rom herbeigeholten Handwerker beaufsichtigten die Arbeit der Lokalbevölkerung in der Zahl von etwa zehntausend Männern der Lokalbevölkerung. Die Arbeiten dauerten ungefähr zehn Jahre, und die Renovierung des Tempels selbst 18 Monate; die Ausschmückung verlängerte sich dagegen bis 64. n. Chr., also bis auf wenige Jahre vor der Destruktion des Gebäudes durch die Truppen von Titus. An der Renovierung des Tempels nahmen nur Priester und Leviten teil. Der umgebaute Tempel auf dem Moriaberg war durch Mauer umgeben, die imponierend lang war: die westliche Seite betrug 485 m.[1], die nördliche 313 m., die südliche 280 m., und die östliche 470 m. Um den Zorn der Bevölkerung zu meiden, die die Rekonstruktion des ehemaligen Tempelgebäudes für eine Lästertat halten konnte, sammelte Herodes alle Baumaterialien noch vor dem Beginn der Arbeiten, und die Priester und Leviten machte er für Stein- und Bauarbeiten geeignet, damit sie genau, aber auch schnell die beabsichtigten Veränderungen vollziehen können. Für die Zeit des Opferbringens hängte man einen Vorhang auf, der den inneren Teil des Tempels (hekal) abtrennte, um zwanglose Kultausübung zu ermöglichen und gleichzeitig diesen Teil des Tempels vor den Augen der Menge zu verbergen.
Die Ausbau- und Ausschmückungsarbeiten dauerten 46 Jahre (Joh 2,2) und waren noch einige Jahre vor dem Jahr 70. (Ant. 29,219) nicht beendet. Zum Bau wurde Weißstein verwendet, und zum Schmuck vor allem Silber und Gold (Bell. 5,223)[2]. Die Fläche, auf der Sakralobjekte placiert waren, hat man erhöht und fast zweimal vergrößert. Auf der westlichen Seite baute man eine gewaltige haltende Mauer, und im Süden gab es eine Plattform, die sich auf die das Abrutschen des Hügels verhindernden Pfeiler stützte. In den Mauerecken entstanden Türme und der Mauer entlang baute man Portiken. Am berühmtesten war sicherlich der königliche Portikus, an der südlichen Wand ausgestellt; der Portikus von Salomon schmückte die Ostmauer. Herodes ließ die Festung Baris umbauen und änderte dabei ihren Namen auf Antoniusfestung. Die Zahl der Höfe und ihre Anordnung wurden auch geändert. Es entstand ein völlig neuer Hof, Heidenhof genannt; er war der größte Hof. Die durch diese Geländer geschlossene Mauerlinie wurde mit Toren abgebrochen: vier Toren südlich und nördlich und ein Tor im Osten. Auf dem auf diese Weise markierten Gebiet setzte man weitere Höfe fest: der Frauen, Männer (Israeliten) und Priester[3]. In den Tempel haben Tore geführt: vier von der westlichen Seite der Stadt (darin eins führte auf die Brücke Tyropeonu), je zwei im Süden und im Osten, ein im Norden. Aus dem Heidenhof führten in den Judenhof nicht weniger als dreizehn Tore, wobei die Frauen nur auf das Gelände der ersten Mauer hineintreten durften (der Frauenhof war etwa 60 Meter lang), wo es dreizehn Sammelbüchsen gab, wegen ihrer Form „Hörne” genannt.
Zu Jesus Zeit durften die Heiden nur auf den für sie bestimmten Hof treten, obwohl es einige Jahrhunderte früher anders üblich war (Num 15,14-16). Dort konnten sie auch Gelöbnisse leisten und freiwillige Opfer bringen (Shek. 1.5). Die Metalllehne, die den Hof von dem Rest des Tempelgeländes absonderte, bildete eine Grenze, an die die Heiden kommen durften; das Übertreten dieser Grenze war mit dem Tod bedroht, wovon entsprechende Tafeln informierten. Herodes selbst konnte die Heiden beim Tempelbau anstellen, so wie er es bei anderen Bauen tat, indem er aber seine architektonischen Ideen realisierte, wählte für Maurer und Zimmermänner die Priester. Er stellte auch eine Balustrade auf, hinter die die Heiden nicht gehen durften. Die meisten Juden hielten die Heiden für unrein, obwohl doch die Heiden dem Recht des Priesterkodes (P) nicht verpflichtet waren. Die Meinungen der Hillel- und Schammai-Schule bezüglich der Unreinheit der Heiden waren verschieden, die Praxis zeigte aber, dass entschieden mehr Anhänger die erste gewonnen hat, die die Unreinheit der Heiden angenommen hat. Die Grundlage für diese Ansicht soll man wahrscheinlich in der von Heiden ausgeübten Idolatrie, die von Juden für die größte Sünde gehalten wurde.
Auf den Männerhof, auch Israelitenhof genannt, führte das Nikanor-Tor, gestiftet von einem Juden aus Alexandrien, der – nach dem Bruch des Schiffes gerettet – sein Gelübde hielt. Dieser Hof war sehr eng; bei 60 Meter Länge betrug seine Breite lediglich 5 Meter. Auf diese Weise erfüllte er seine grundsätzliche Rolle – er sonderte die Männer von den Frauen ab, gleichzeitig aber zeigte er sichtbar die Überlegenheit der ersten von ihnen. Drei Stufen höher gab es den Priesterhof (ca. 60 x 80 m.). Im Hintergrund stand das Hauptgebäude des Tempelkomplexes; es war mit einer Kolumnade, einem Fronton und Dachspitzen verziert. Eben dort gab es den Saal „des polierten Steins”, Treffort vom Sanhedrin, und „Quellesaal”, aus dem man das Wasser zum Ritualabwasch schöpfte. In anderen Räumen wurden Holz und Weihrauch gelagert sowie Opfertiere gehalten. Der Tempel selbst stand zwölf Stufen höher; er war 30m. hoch und 45m. breit. Ohne Flügeltür, nur mit einem Portikus geteilt, öffnete er einen Blick auf prächtige Tür aus dem goldüberzogenen Zederbaumholz. Über der Tür hat man goldene Weinrebe aufgehängt, die Symbol für die ganze Schöpfung war, und der Gegenstand der Witze der Römer wurde, dass Gott der Juden angeblich Bachus ist. Die Tür blieb ständig geöffnet, aber der Innenraum war durch einen Vorhang mit babylonischer Strickerei abgetrennt, die das himmlische Gewölbe darstellte. Der heilige Ort war eine Reihe von 38 Kammern, die in drei Stockwerke aufgeteilt waren; sein Zentrum, mit beständigem Holz ausgelegt, war mit dem inneren Tempelvorhang abgesondert. Hinter ihm standen die Tische für die Schaubrote, die Menora[4] und goldüberzogener Weihrauchaltar. Sie gehörten zu der Hauptausstattung des Tempels[5]. Mit Gold ausgepolsterter Weihrauchaltar, aus Akazienholz gemacht und mit vier Hörnern verziert, war etwa ein halbes Meter lang und breit, und ca. ein Meter hoch. Der goldene Kranz über dem Altar war mit vier Ringen versehen, in die man Hebel reinstecken konnte, um den Altar verlegen zu können. Aus ähnlichen Bestandteilen wurde der Tisch für die Schaubrote gebaut: aus Akazienholz gemacht, auch mit Kränzen, Goldverzierungen und mit ähnlichen Ringen versehen. Er war etwas größer als der Weihrauchaltar. Aus reinem Gold gemachter Siebenarmleuchter symbolisierte die Sendung Israels, das das Licht für andere Nationen werden sollte[6].
Der Brandopferaltar wurde aus unbehauenen Steinen auf dem Plan eines Vierecks gebaut, 14 m. lang, 4 m. hoch; seine Ecken in Form von Hörnern waren nach oben gerichtet. Er stand gegenüber dem Eingang in den Tempel, auf dem Ornan-Felsen. Zu seiner Spitze führte eine steinerne Rampe[7]. Die religiöse Bedeutung des Altars war mit seiner Funktion verbunden, zwischen dem Menschen und Gott z vermitteln; dies bezieht sich vor allem auf den Brandopferaltar, denn holocaustum wurde für das am meisten verehrte Opfer gehalten. Ähnlich wie der Tempel, war auch der Altar Zeichen der Anwesenheit Gottes; deshalb hielt man ihn für „heilig” (Ex 29,37; 40,10). Er war neben dem Tempelgebäude das heiligste Objekt; seine Hörner waren besonders verehrt, indem man sie bei der Weihung mit dem Blut der geopferten Tiere bestrich (Ex 29,12; 30,10; Ez 43,20); ihre Symbolik ist schwer zu bestimmen. Wahrscheinlich knüpft sie an die Idee der Macht und Stärke von Jahwe. In dieser Interpretation konnten die Hörner Überbleibsel von Stelen sein, die in dem Kanaanglauben die Göttlichkeit symbolisierten[8].
Der heiligste Ort des Tempels war debir, das Allerheiligste; es gab dort keine Statue, sondern nur einen Stein, von dem die Juden überzeugt waren, dass er Zentrum des Weltalls war. Die architektonische Form des Tempels, in dem jeder weitere Hof höher als der vorige lag, widerspiegelt die in der semitischen Mentalität fest verankerte Idee der Annäherung an Gott (ähnlich wie die babylonische zikkurat).
[1] Die altertümliche jüdische Legende, im 70. Jahr nach der Zerstörung des Tempels von Titus niedergeschrieben, lautet, dass an der Westmauer (Kotel) die ärmste Bevölkerung zur Arbeit bestimmt wurde. Wegen des Mangels an qualifizierten Arbeitern waren die Arbeiten an dieser längsten Mauer am schwierigsten und haben ihnen viel Leiden zugefügt. Als dann die römischen Truppen den Tempelkomplex stürmten, sollte der von Gott gesandte Engel mit ausgebreiteten Flügeln die westliche Wand verhüllen, indem er die Worte sagte: „Diese Wand, die Arbeit der ärmsten Leute, wird nie zerstört”; F. ALPERT, Getting Jerusalem Togather. Your Historical Guide to Jerusalem Throughout the Ages, Jerusalem 1984, 27.
[2] Die Talmudtradition enthält zwei parallele Feststellungen, die die Schönheit der Stadt und des Tempels rühmen sollen: „Derjenige, der Jerusalem in seiner Ehre nie gesehen hat, hat nie eine prächtige Stadt gesehen” (Suk. 51b); „Derjenige, der nie den Tempel von Herodes gesehen hat, hat nie im Leben ein prächtiges Bauwerk gesehen” (B.B. 4a). Von der Pracht des Tempelgebäudes ist auch im Evangelium die Rede: „Als Jesus den Tempel verließ, sagte einer von seinen Jüngern zu ihm: Meister, sieh, was für Steine und was für Bauten!” (Mk 13,1).
[3] U. SZWARC, „Świątynia jerozolimska”, in: Życie religijne w Biblii, hrsg. von G. Witaszek, Lublin 1999 88-90.
[4] Die in Jerusalem ankommenden Truppen von Titus raubten den Leuchter und brachten ihn in einem Triumphzug nach Rom. Diese Szene wurde auf einem Bild auf dem Titustriumphbogen in Rom dargestellt.
[5] Am Anfang der Existenz des Tempels war seine wichtigste Ausstattung die Bundeslade, aus dem Akazienbaum angefertigt, außen und innen vergoldet. Die Decke (kipporet) war ein goldener Kasten, Versöhnungstafel genannt, mit Darstellungen der sich gegeneinander verbeugenden Cherube. Die Bundeslade enthielt die Dekalogtafeln, ein Gefäß mit Manna und den Stock von Aaron. Die Umstände vom Verschwinden der Bundeslade sind unbekannt; es ist jedoch bekannt, dass es sie im Tempel von Serubbabel (und umso mehr von Herodes) bereits nicht mehr gab.
[6] U. SZWARC, „Świątynia jerozolimska”, 91; E. ZAWISZEWSKI, Instytucje biblijne, Pelplin 2001, 89.
[7] S. SZYMIK, „Ołtarze izraelskie”, in: Życie religijne w Biblii, hrsg. von G. Witaszek, Lublin 1999, 133-134.
[8] Der Abbruch der Altarecken war mit seiner Entweihung gleich (Am 3,14; Jdt 9,8); S. SZYMIK, „Ołtarze izraelskie”, 135-136.